Brexit: Großbritannien verlässt die EU

Jostmeier zum Referendum im Vereinigten Königreich

Zu der Entscheidung der Briten über den Austritt aus der EU erklärt Werner Jostmeier MdL, Sprecher der CDU-Fraktion im Hauptausschuss des Landtages, sowie Mitglied im Vorstand der Europäischen Volkspartei in Brüssel und Vorsitzender der Parlamentariergruppe NRW-Polen:
Die Nachricht, dass sich die Briten mehrheitlich für den Austritt und somit gegen die Europäische Union entschieden haben, erreichte uns im oberschlesischen Kattowitz. Die Landtagsdelegation war in der Partnerregion Oberschlesien aus Anlass des 25. Jahrestages des deutsch-polnischen Freundschafts- und Partnerschaftsvertrages zu Besuch. 
 
Die wenn auch knappe aber mehrheitliche Entscheidung der Briten muss jetzt unverzüglich und mit aller Konsequenz umgesetzt werden. Es darf nicht zur Rosinenpickerei und wieder zu faulen Kompromissen kommen. Es muss alles vermieden werden, dass ein Dominoeffekt entsteht und populistische Parteien in anderen Ländern vergleichbare negative Folgen für die eigene Bevölkerung und die gesamte EU herbeireden. Denn dass die Folgen für England sowohl wirtschaftlicher als auch politischer Natur sehr schmerzhaft sein werden, liegt auf der Hand. Da in der Pro und Contra Debatte in den letzten Wochen in Großbritannien Sachargumente kaum eine Rolle gespielt haben, sondern durch Emotionales und Demagogisches völlig überlagert wurden, ist der Schock auf der Insel umso größer. 
 
Auf Deutschland kommt eine noch größere Verantwortung zu: Zum einen wird Deutschlands Gewicht proportional zunehmen, zum anderen fehlt in wichtigen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen die britische Unterstützung. Dabei muss Deutschland seine naturgemäße Führungsverantwortung sensibel wahrnehmen. 
 
Vor fünf Jahren wurde in Deutschland die Energiewende verkündet, und die Nachbarn wurden nicht gefragt. Im September des letzten Jahres wurde eine Flüchtlingsaufnahmepolitik praktiziert, die unseren Werten entspricht, die aber mit den Nachbarn nicht abgesprochen wurde. Und vor allem die soziokulturellen Dimensionen dieser Flüchtlingspolitik für Deutschland und für Europa werden von den europäischen Nachbarn anders beurteilt, als bei uns. Das verlangt viel sensiblen Umgang mit unseren Partnern in der EU. 
 
Aus meiner Sicht sind folgende fünf fundamentale Defizite möglichst schnell zu beseitigen: 
 
  • Unvollendete Wirtschaftsunion. Man kann keine gemeinsame Währung einführen, ohne wenigstens die Steuer-, Haushalts- und Finanzpolitik in den wichtigsten Bereichen zu koordinieren.       
  • Gemeinsames EU-Recht muss gemeinsam durchgesetzt und beachtet werden. Der Verstoß gegen zentrale Gemeinschaftsregelungen und Vereinbarungen hat für die Einzelstaaten kaum nachteilige Sanktionen. Jahrelang hat Italien gegen das Dublin-System verstoßen und Flüchtlinge unregistriert nach norden geschickt; Griechenland hat jahrelang versäumt, die Regeln des Schengener Abkommens umzusetzen und die Stabilitätskriterien zu beachten.       
  • Solidarisches Handeln. Bei dem ersten Flüchtlingsansturm vor drei Jahren ist Italien allein gelassen worden; Spanien und Portugal fühlen sich bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit im Stich gelassen.       
  • Gemeinsame EU-Außenpolitik. Wo gemeinsame EU-Operationen in Krisengebieten der Welt dringend erbeten werden, drücken sich die meisten EU-Länder, weil Geld oder Personal fehlen; die Großen kochen ihr eigenes Süppchen. Vor allem bei einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik ließe sich enorm viel Geld sparen und wesentlich größere Effizienz erzielen.       
  • Mehrheitsentscheidungen auf EU-Ebene. Durch das Einstimmigkeitserfordernis bei vielen Gesetzten kann jedes Land die Gemeinschaft erpressen. Beispiel: Bei der Entscheidung zur Fortführung der berechtigten Sanktionen gegen Russland haben einzelne Länder versucht, sich ihre Zustimmung durch Zugeständnisse in ganz anderen Politikbereichen abhandeln zu lassen. Jederzeit können sie mit einem Veto drohen. Die Konsequenzen einzelstaatlicher Fehlentwicklungen wie Arbeitslosigkeit, Schulden, Korruption und Misswirtschaft beschwert die gesamte Union.
     
 
Die Delegation des NRW-Landtages hat in Schlesien erfreulicherweise viele Gesprächspartner aus verschiedenen Regierungsparteien gefunden, die diese Beurteilung teilen. Die wichtigste Stabilitätsachse für Europa ist das freundschaftliche Verhältnis zwischen Deutschland, Polen und Frankreich. Deshalb ist es ein kleiner, aber wichtiger Hoffnungsschimmer: die polnische Ministerpräsidentin Szyd³o, die nach ihrem Wahlsieg der PiS bei ihrer ersten Pressekonferenz zum Erstaunen der Welt die EU-Flagge im Hintergrund hatte entfernen lassen, hat jetzt bei ihrer Pressekonferenz zur Bewertung des Brexit neben der polnischen auch die EU-Flagge deutlich sichtbar aufgestellt.